Immer wieder wenden sich Mandanten mit Fragen zu Rückzahlungsklauseln in Praxis- oder Fortbildungsverträgen an uns. Besonders häufig sind dies Studierende, die sich nach ihrem Abschluss gegen eine langfristige Bindung an den Arbeitgeber entscheiden und sich mit Rückforderungen konfrontiert sehen. Ein aktueller Fall, den wir erfolgreich bis zur zweiten Instanz verteidigt haben, beleuchtet die Problematik solcher Klauseln und bietet wichtige Orientierung.
Der Praxisfall: Rückforderung von 18.900 € Studiengebühren
Unsere Mandantin, Frau J., absolvierte ein duales Studium im Bauingenieurwesen bei der Stadt Elmshorn. Im Rahmen eines Praxisvertrags übernahm die Stadt die Studiengebühren von 450 € monatlich sowie weitere Kosten wie Immatrikulations- und Prüfungsgebühren. Nach Abschluss ihres Studiums entschied sich Frau J., das angebotene Arbeitsverhältnis nicht anzunehmen, sondern ein Masterstudium zu beginnen. Daraufhin forderte die Stadt Elmshorn die Rückzahlung der Studiengebühren in Höhe von 18.900 €, gestützt auf folgende Klausel:
Rückzahlungsklausel (§ 9 des Praxisvertrags):
Die von der Praxispartnerin aufgewendeten Studiengebühren sind zurückzuzahlen, wenn:
- das Studium aus von der oder dem Studierenden zu vertretenden Gründen abgebrochen wird,
- ein Arbeitsangebot der Praxispartnerin nach erfolgreichem Abschluss abgelehnt wird, oder
- das Arbeitsverhältnis innerhalb von fünf Jahren aus eigenem Wunsch oder verhaltensbedingten Gründen beendet wird.
Die Rückzahlung sollte sich monatlich um 1/60 des Gesamtbetrags verringern, sofern die Studierenden nach dem Studium bei der Stadt angestellt blieben.
Die Entscheidung in zwei Instanzen
1. Instanz: Arbeitsgericht
Das zuständige Arbeitsgericht wies die Klage der Stadt Elmshorn auf Rückzahlung ab. Es erklärte die Klausel für unwirksam und führte aus:
- Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB):
Die Klausel war unklar und missverständlich, da die verwendeten Begriffe wie „Studiengebühren“, „Gesamtbetrag“ und „Gesamtkosten“ nicht eindeutig definiert waren. Es war nicht ersichtlich, ob die Rückzahlung nur die Studiengebühren oder auch andere Kosten wie Immatrikulations- und Prüfungsgebühren oder sogar die Ausbildungsvergütung umfassen sollte. - Unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB):
Die Klausel differenzierte nicht zwischen verschiedenen Gründen für die Ablehnung des Arbeitsangebots. Selbst bei unverschuldeten Gründen, wie gesundheitlichen Einschränkungen oder unzumutbaren Vertragsbedingungen, hätte die Rückzahlungspflicht gegriffen. Diese Pauschalität wurde als unangemessen bewertet.
Das Gericht betonte, dass solche Klauseln eine klare Abwägung zwischen den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfordern. Der Vertrag der Stadt Elmshorn erfüllte diese Anforderungen nicht.
2. Instanz: Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein
Auch das LAG bestätigte das Urteil und vertiefte die Argumentation:
- Keine Differenzierung nach Ablehnungsgründen:
Rückzahlungsklauseln dürfen nur dann greifen, wenn Arbeitnehmer die Rückzahlung durch eigene Entscheidungen wie freiwillige Kündigungen beeinflussen können. Die Klausel der Stadt Elmshorn machte jedoch keine Ausnahmen für unverschuldete Gründe, wie z. B. gesundheitliche Einschränkungen. Dies stellte eine unangemessene Benachteiligung dar. - Überzogene Bindungsfrist:
Eine Bindung von fünf Jahren nach Studienabschluss wurde als unverhältnismäßig lang bewertet. Laut Rechtsprechung ist bei einem Studium von dreieinhalb Jahren eine Bindungsdauer von maximal drei Jahren zulässig. - Unklare Begriffe:
Wie bereits in der ersten Instanz festgestellt, waren die Begriffe „Studiengebühren“, „Gesamtkosten“ und „Gesamtbetrag“ uneinheitlich verwendet worden. Dies machte es für die Studierenden unmöglich, den Rückzahlungsbetrag bei Vertragsabschluss abzuschätzen. - Keine geltungserhaltende Reduktion:
Das LAG lehnte eine „Nachbesserung“ der Klausel durch ergänzende Vertragsauslegung ab. Arbeitgeber tragen die Verantwortung, rechtlich einwandfreie Klauseln zu formulieren. Unwirksame Klauseln entfallen daher ersatzlos.
Vergleichbare Entscheidungen und aktuelle Entwicklungen
Der Fall ist kein Einzelfall. Gerichte beschäftigen sich regelmäßig mit Rückzahlungsklauseln in Fortbildungs- und Praxisverträgen. So entschied das LAG Thüringen (Az. 4 Sa 197/22) in einem anderen Fall, dass Rückzahlungsklauseln in Fortbildungsvereinbarungen ebenfalls unwirksam sind, wenn sie:
- keine Ausnahmen für unverschuldete Gründe der Vertragsbeendigung vorsehen, und
- intransparent in Bezug auf den zurückzuzahlenden Betrag sind.
Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte in einer Entscheidung vom 1. März 2022 (Az. 9 AZR 260/21) klar, dass Arbeitgeber Rückzahlungsklauseln sorgfältig gestalten müssen. Sie dürfen nicht pauschal auf eine Rückzahlung drängen, ohne die individuellen Umstände zu berücksichtigen.
Fazit: Klare Regelungen sind entscheidend
Dieser Fall zeigt deutlich, dass Rückzahlungsklauseln in Praxisverträgen hohe Anforderungen erfüllen müssen. Arbeitgeber sollten bei der Gestaltung solcher Klauseln darauf achten:
- Transparenz:
Der Rückzahlungsbetrag muss klar definiert sein, damit Arbeitnehmerden Umfang ihrer potenziellen Verpflichtungen einschätzen können. - Verhältnismäßigkeit:
Bindungsfristen dürfen nicht unverhältnismäßig lang sein und müssen zur Dauer und den Kosten der Ausbildung passen. - Differenzierung nach Gründen:
Klauseln müssen unverschuldete Gründe wie gesundheitliche Einschränkungen oder unzumutbare Arbeitsbedingungen berücksichtigen und von der Rückzahlungspflicht ausnehmen.
Für Studierende ist es wichtig, Rückzahlungsklauseln genau zu prüfen und im Zweifel rechtlichen Rat einzuholen. Viele Klauseln halten der gerichtlichen Überprüfung nicht stand, und Forderungen lassen sich erfolgreich abwehren.
Wenn Sie Fragen zu Rückzahlungsklauseln oder anderen arbeitsrechtlichen Themen haben, unterstützen wir Sie gerne – ob als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Sprechen Sie uns an!
Erstellt von Rechtsanwältin Clara Louise Leip für den Fachbereich Arbeitsrecht.