Wer im Bereich des Sozialrechts einmal Anträge gestellt hat, weiß: Behörden, ganz gleich ob Krankenversicherung, Pflege- oder Rentenversicherung oder andere Behörden, setzen häufig Fristen, wenn es darum geht, Unterlagen vorzulegen. Diese Fristen sind nicht selten knapp bemessen und manchmal kaum einzuhalten. Dennoch droht stets die Ablehnung des Antrags wegen fehlender Mitwirkung (§§ 60 ff SGB I).
Im Gegenzug dauert es häufig sehr lang, bis über den Antrag entschieden worden ist. Häufig länger als das Gesetz es vorsieht:
§ 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) regelt die Zulässigkeit einer sog. Untätigkeitsklage. Nach § 88 Abs. 1 SGG ist die Klage zulässig, wenn eine Behörde innerhalb von 6 Monaten nicht über einen Antrag entscheidet. § 88 Abs. 2 SGG setzt für den Fall des Widerspruchsverfahrens eine noch kürzere Frist und bestimmt die Zulässigkeit der Klage für den Fall, dass innerhalb von drei Monaten keine Entscheidung ergangen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 8. Februar 2023 (Az. 1 BvR 311/22) nun im Beschlusswege entschieden, dass der Antragsteller die Behörde nicht daran erinnern muss, dass die Frist des § 88 SGG demnächst abläuft und eine Untätigkeitsklage in Betracht gezogen wird.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich mit einer Verfassungsbeschwerde auseinanderzusetzen, welche zwar im Bereich des SGB II ihren Schwerpunkt hatte, aber auf alle Bereiche des Sozialrechts übertragbar ist. Der Verfassungsbeschwerde lag der folgende zusammengefasste Sachverhalt zu Grunde:
Eine Leistungsempfängerin hatte gegen einen Leistungsbescheid erfolgreich Widerspruch eingelegt. Ausweislich des entsprechenden Abhilfebescheides sollten ihr auf Antrag die notwendigen Kosten erstattet werden. Nach einem Ausbleiben des Ausgleichs der Kosten erhob sie Untätigkeitsklage zum Sozialgericht (Darmstadt). Da das Jobcenter nun die Kosten ausglich, musste der Rechtsstreit für erledigt erklärt werden. Die Leistungsempfängerin sah sich im Recht und begehrte nun auch die Erstattung der Kosten für die Untätigkeitsklage, was ihr das Sozialgericht jedoch nicht zusprach. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die Frau sei ihrer „Obliegenheit zur Schadensminderung nicht nachgekommen“. Hierzu hätte sie vor Erhebung der Untätigkeitsklage beim Jobcenter den Sachstand erfragen müssen.
Das Bundesverfassungsgericht, welches daraufhin angerufen wurde, sah darin eine Entscheidung gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es bestehe keine Verpflichtung des Bürgers, eine Behörde nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist auf die ausstehende Entscheidung aufmerksam zu machen.
Das BVerfG stellte damit klar, dass der Staat nicht grundsätzlich darauf vertrauen kann, auf den Ablauf einer gesetzlichen Frist erneut hingewiesen zu werden und eine außergesetzliche Nachfrist zu erhalten – genau so, wie sich Antragstellende ein Fristversäumnis unmittelbar vorhalten lassen müssen.
Die Mitarbeiterinnen unserer Kanzlei, und insbesondere Frau Rechtsanwältin Astrid Hiller, Fachanwältin für Sozialrecht, berät Sie, wenn Sie das Gefühl haben, die Behörde lässt sich zu lange Zeit, um über einen Antrag oder Widerspruch zu entscheiden. Insbesondere im Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung können kürze Fristen gelten, als die sechs – oder dreimonatige Entscheidungsfrist. Auch hierzu berät Sie Frau Rechtsanwältin Hiller als Fachanwältin für Sozialrecht.